Der Palast von Knossos
Zweifellos ist der „Palast von Knossos“ die berühmteste historische Sehenswürdigkeit auf der griechischen Insel Kreta. Mehr als eine halbe Million Menschen besuchen pro Jahr diese von Sir Arthur John Evans (1851-1941) freigelegten Reste einer bronzezeitlichen Palastanlage. Der britische Archäologe , der ab 1900 mit systematischen Ausgrabungen auf dem von ihm gekauften Gelände begann, deutete die Befunde als wichtige Zeugnisse der minoischen Kultur. Beflügelt von seiner Begeisterung für die Minoer mussten leider die Überbauungen aus mykenischer Zeit daran glauben.
Palast von Knossos:
Die minoische Säule, die Stierhörner und die Wandmalerei mit den kretischen Jünglingen: Nichts davon ist echt. © Bild: Wikimedia Commons Um die fragilen Mauerreste dauerhaft zu schützen, ließ er Arbeiten durchführen, die schon damals zu heftiger Kritik führten. Er wollte nämlich nicht nur die freigelegten Räume und Artefakte vor dem Verfall bewahren, sondern diese auch zu Gebäuden „rekonstruieren“, d.h. in eine Form bringen, die er für „original“ hielt. Dies deshalb, weil er Betrachtern eine Vorstellung vom Aussehen des damaligen Palastes ermöglichen wollte. Zu diesen Zweck experimentierte er mit importiertem Holz. Als sich das jedoch als nicht brauchbar erwies, entschloss er sich, den damals modernsten und langlebigsten Baustoff einzusetzen, nämlich Beton.
Der „Thronsaal“ von Knossos zur Zeit der Ausgrabungen (um 1900): © Bild: Wikimedia Commons
Idealtypischer Nachbau eines Thronsaals bei der Sonderausstellung „Mykene – Die sagenhafte Welt des Agamemnon“
im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe 2018/19: Der farbenprächtige Thronraum, der nach Erkenntnissen, die man in Mykene und Pylos sammeln konnte, nachempfunden wurde, soll das Gefühl von mykenischer Prachtentfaltung vermitteln.
Nun ist es leider so, dass dieses Material, abgesehen davon, dass es natürlich nicht authentisch sein kann, viel schwerer ist als die damals verwendeten Baustoffe, was dauerhaft zu erheblichen Problemen führt. Vorzuwerfen ist ihm auch, dass er die Situation, die er vorfand (z.B. Funktion der Räume), höchst eigenwillig interpretierte und er durch seine Baumaßnahmen seine individuellen Annahmen quasi „einbetonierte“ und damit eine weitere Forschung am Objekt mit Hilfe modernerer Methoden praktisch unmöglich gemacht hat.
„Nur auf Grund der reduzierten und daher für den Betrachter oft unverständlichen Bausubstanz archäologischer Ruinen zu versuchen, den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen ist schlichtweg Anmaßung, Geschichte besser präsentieren zu wollen, als sie selbst durch die erhalten gebliebenen Dokumente vermag.“(1)
Karl Herold
Aller Unkerei zum Trotz: Obwohl viele aufmerksame Besucher der archäologischen Stätte in Knossos sehr schnell bemerken, dass originale Substanz nicht so leicht ausfindig zu machen ist, entscheiden sich die überwiegende Zahl der Touristen doch in den allermeisten Fällen dazu, dorthin zu fahren, wo auch alle anderen Kulturbeflissenen hinpilgern, nämlich zum absoluten „Hotspot“ der Tourismusindustrie. Und der ist nun einmal Knossos. Dabei ist es wahrlich nicht so, dass es auf Kreta nur diese eine Ausgrabung gäbe, in der man in die Welt der bronzezeitlichen Bewohner dieser Insel eintauchen könnte. Sie werden erstaunt sein, wie viele sehenswerten Ausgrabungsstätten es auf Kreta tatsächlich gibt (
Historische Stätten Kretas). Erlauben Sie mir, ganz kurz nur auf eine davon näher einzugehen. Es handelt sich um die Ruinen des Palastes von Phaistos. Dort wurden – im Gegensatz zu Knossos – nach den Ausgrabungsarbeiten auch Baustrukturen ergänzt, aber hauptsächlich deswegen, weil man die vorgefundene Substanz vordringlich nachhaltig schützen möchte.
Phaistos: Im Zuge der Ausgrabungsarbeiten, die im Jahre 1908 von Luigi Pernier durchgeführt wurden, entdeckte man übrigens im westlichsten Gebäude der Palastanlage eines der bedeutendsten Fundstücke aus der Bronzezeit: den sog. „Diskos von Phaistos“. © Bild:
Wikimedia Commons Das Bedürfnis der Kulturreisenden und an der Antike interessierten Freaks an Bildern, Imaginationen und Hilfen, sich etwas vorstellen zu können, dürfte jedenfalls ziemlich groß sein. Es ist demzufolge sicher kein Zufall, dass man in der Antikenaustellung im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe im Rahmen der vielbeachteten Sonderausstellung „Mykene – Die sagenhafte Welt des Agamemnon“, die im Jahr 2019 gezeigt wurde, nicht darauf verzichten konnte, als optische Attraktion einen rekonstruierten bronzezeitlichenThronsaal mit nachempfundenen Wandfresken und Bodenbemalung zu präsentieren.
Die Stoa des Attalos
Ein anderer, nicht minder eindrucksvoller Rekonstruktionsbau, der jedes Jahr hundertausende Besucher anzieht, ist die zu musealen Zwecken wiederaufgebaute Stoa des Attalos auf der Athener Agora. Diese ursprünglich von König Attalos II. von Pergamon im 2. Jahrhundert v. Chr. errichtete Wandelhalle wurde durch ein New Yorker Architekturbüro unter Anleitung der American School of Classical Studies at Athens, gefördert durch einen finanziellen Beitrag von John D. Rockefeller Jr., zwischen 1952 bis 1956 errichtet. Man benutzte für den Wiederaufbau, der soweit wie nur irgend möglich dem Original entsprechen sollte, bereits in der Antike verwendete Materialien. Die Geschoßdecken wurden allerdings aus Stahlbeton hergestellt, die hölzernen Konstruktionen dienen lediglich als Attrappe.
Die Stoa des Attalos in Athen: Die rekonstruierte hellenistische Wandelhalle, die auch das Agoramuseum beherbergt, dominiert die Agora von Athen in einer – zumindest für einige Besucher – unzulässigen Weise. Die übrigen Ruinen, die sich auf dem ausgedehnten Areal befinden, verkommen dadurch zu unbedeutenden Steinhaufen.
Durch den radikalen Entschluss, diesen Bau zu errichten, haben sich automatisch eine Reihe von Problemstellungen ergeben. Eine kleine Auswahl:
- Wenn man die Errichtung dieses Bauwerks grundsätzlich gutheißt, dann müsste man konsequenterweise auch dafür sein, die umliegenden Gebäude wieder aufzubauen. Aber in welcher Erscheinungsform? Entschließt man sich dazu, das Herzstück Athens zur Zeit des Perikles wieder neu erstehen zu lassen? Oder wäre es nicht imposanter, das Athen zum Leben zu erwecken, wie es sich als Welthauptstadt der Philosophie zu Zeiten der Römer präsentiert hatte?
Athen im Jahr 1868: Während die Akropolis schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von den türkischen und venezianischen Bauten befreit wurde, hat man die Agora erst im 20 Jh. quasi wieder entdeckt. Ein ganzes Stadtviertel mit gut 300 Häusern wurde dafür abgerissen. © Bild:
Wikimedia Commons - Wenn man sich nicht in der Lage sieht, zu entscheiden, welcher Periode man den Vorzug gibt, dann bedeutet dies, dass alle Epochen als gleichwertig zu gelten haben. Das wiederum würde heißen, dass der Abriss der Privathäuser, die an dieser Stelle vor Aufnahme der Grabungsarbeiten gestanden haben, eigentlich nicht gutzuheißen ist. Und dass es eigentlich völlig okay ist, wenn sich mitten durch die antike Agora eine moderne Bahntrasse frisst. Die Bahnverbindung nach Piräus ist ja schließlich für die dort lebenden Menschen essentiell.
- Wäre es nicht sinnvoll, die paar Tavernen zu opfern, die sich heute dort befinden, wo sich einst die für die europäische Geistesgeschichte so bedeutsame Stoa Poikile befand? (Eine Anmerkung am Rande: Ich finde es beschämend, unter welchen Bedingungen, die Ausgrabungsarbeiten dort stattzufinden haben.)
Die Überreste der Stoa Poikile: Archäologische Grabungsarbeiten zwischen Gaststätten und Souvenierläden.
Die Touristenmassen, die dort täglich im Rahmen der obligaten Besichtigungstouren einfallen, wird das wahrscheinlich nicht sonderlich interessieren. Die Frage ist aber, ob der Besuch der Griechischen Agora auch dann noch zum Fixpunkt jeder Tour gehören würde, wenn es den Rekonstruktionsbau der Stoa des Attalos nicht gäbe bzw. wenn man in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht die dort befindlichen architektonisch unbedeutenden Privathäuser abgerissen hätte.
„Es ist sicher falsch zu sagen, ein Denkmal, das keiner sehen will und kann, sei kein Denkmal, es ist aber nahe an der Wahrheit zu sagen, dass ein Denkmal, das man ängstlich vor den Augen der Menge verbirgt, seinen Zweck
nicht erfüllen kann.“ (2)
W. Eder
Der Archäologische Park Carnuntum
Vor 30 oder 40 Jahren haben sich hauptsächlich Kurgäste aus Bad Deutsch-Altenburg oder die Mitglieder der 1885 gegründeten Gesellschaft der Freunde Carnuntums, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die archäologische Forschung in Carnuntum zu fördern und die Ergebnise einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, dorthin verirrt, wo man seit Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr Überreste der ehemals wichtigsten Siedlungs- und Verteidigungsschwerpunkte in den nördlichen Provinzen des römischen Reiches ergraben konnte. Hin und wieder verirrten sich auch einige Schulklassen unter der Leitung ihrer Geschichts- oder Lateinlehrer in das Ausgrabungsgelände in Petronell – Bad Deutsch-Altenburg. Damals war es noch gänzlich der Phantasie der Besucher überlassen, sich vorzustellen, wie die Gebäude wohl damals ausgesehen haben mögen.
Römerstadt Carnuntum: Unweit des Römischen Stadtviertels wurde eine Trainingsarena der Gladiatoren als Holzrekonstruktion an exakt jener Stelle wieder aufgebaut, an der das Original vor rund 1800 Jahren gestanden hat.
Als 1996 die Archäologische Park Carnuntum Betriebsges.m.b.H. das Management des Parks mit der Aufgabe übernahm, zielgruppenorientierte Programme und Produkte zu entwickeln, änderte sich die Situation mit einem Schlag völlig. Mit einem Gesamtinvestituationsvolumen von 26 Mio Euro wurde der Park im Hinblick auf eine anschließend geplante Landesausstellung vollkommen umgestaltet. So wurde ein Teil der Zivilstadt im Rahmen dieser Aktivitäten – so weit wie möglich originaltreu – rekonstruiert. Und die Bilanz ist für die Verantwortlichen durchaus zufriedenstellend. Im Jahr 1996 besuchten noch rund 50 000 Menschen den Archäologischen Park Carnuntum. Seitdem konnten die Besucherzahlen sukzessive gesteigert werden. Im Jahre 2011 kamen rund 600 000 Besucher nach Carnuntum, um die voll möblierten Häuser zu sehen und in die römische Lebenswelt einzutauchen. Seit der Entdeckung der Gladiatorenschule und der Rekonstruktion der Trainingsarena konnten die Besucherzahlen noch einmal gesteigert werden. Mittlerweile spielt Carnuntum schon in der Liga der frequenzstärksten Ausflugsziele Niederösterreichs.
ANMERKUNGEN
(1) Karl Herold:
Konservierung von archäologischen Bodenfunden. Böhlau (1994)
(2) W. Eder, in: C.Becker (Hrsg.): Denkmalpflege und Tourismus.Misstrauische Distanz oder fruchtbare Partnerschaft. Internationales Symposion Trier 1986
BILDNACHWEIS
- Titelbild:
Villa rustica Hechingen-Stein © Kavalierstour
- Palast von Knossos:
drei auf einen Streich - die minoische Säule, die Stierhörner und die Wandmalerei mit den kretischen Jünglingen - nichts davon ist echt - Knossos – Kreta. Bild: Rolf Dietrich Brecher from Germany - Minoan Symbols. © Wikimedia Commons
- Der „Thronsaal“ von Knossos zur Zeit der Ausgrabungen (um 1900):
Unbekannt - K. A. Wardle: Die Palastkulturen des minoischen Kreta und des mykenischen Griechenland 2000–1200 v. Chr. In: Cunliffe Illustrierte Vor- und Frühgeschichte. S. 231 (241). © Wikimedia Commons
- Der „Thronsaal“ von Knossos heute:
Olaf Tausch . Am 13. April 1900 bei Ausgrabungen entdeckter „Thronsaal“ von Knossos südlich von Iraklio, Kreta, Griechenland.
- © Wikimedia Commons
- Idealtypischer Nachbau eines Thronsaals bei der Sonderausstellung „Mykene – Die sagenhafte Welt des Agamemnon“:
© Kavalierstour. Mit freundlicher Genehmigung des Badischen Landesmuseums
- Die bronzezeitliche minoische Siedlung Phaistos:
Olaf Tausch: Ruinen von Phaistos, Gemeinde Festos, Kreta, Griechenland. © Wikimedia Commons
- Die Stoa des Attalos in Athen:
© Kavalierstour
- Athen im Jahr 1868:
Bonfils, Félix (1831-1885) - Athens - Acropolis 1868-1875 Bild:
- © Wikimedia Commons
- Die Überreste der Stoa Poikile:
© Kavalierstour
- Carnuntiner Gladiatorenschule:
Bild: Ludus O/W (c) 7reasons
- Römerstadt Carnuntum:.
© Kavalierstour Mit freundlicher Genehmigung der Römerstadt Carnuntum