Bilder im KopfJederfrau und Jedermann, ganz gleich, ob es sich um eine Professorin für Alte Geschichte oder um einen engagierten Hobbyhistoriker handelt, greift ganz automatisch auf ein sich andauernd veränderndes Gefüge historischer Vorstellungen, auf Deutungen und gefestigte Vorstellungen von der Vergangenheit zurück, wenn sie/er sich vorstellt, wie die Menschen vor zweitausend Jahren tatsächlich gelebt haben. Man sollte dabei aber niemals vergessen, dass diese individuellen Geschichtsbilder keinesfalls ein realitätsgetreues Abbild des Vergangenen darstellen können. Bestenfalls handelt es sich dabei um allseits akzeptierte Deutungen und gefestigte Vorstellungen von der Vergangenheit, die allerdings davon abhängig sind, was man auf welchem Niveau gelernt, gelesen und gesehen hat.
Genius loci: Sogar in Pompeji, wo es von Touristen nur so wimmelt, findet man ein Platzerl, wo man in aller Ruhe ein gutes Buch lesen kann. Was halten Sie davon, gerade an diesem speziellen Ort ein Ratgeberbuch der besonderen Art zu lesen: "Von der Kürze des Lebens" von Lucius Annaeus Seneca.
Und dann ist da noch dieser sog. „Zeitgeist“, den wir nicht vergessen sollten. Zu dieser Thematik ließe sich trefflich auf höchstem akademischem Niveau fachsimpeln. An dieser Stelle möchte ich mich aber lediglich damit begnügen, Sie mit nur einer einzigen Fragestellung zu konfrontieren: Wie sehr haben sich, Ihrer Meinung nach, die Vorstellungen der Menschen von der Zeit, die wir heute „Antike“ nennen, nur in den letzten Jahrzehnten geändert? Lassen Sie dabei die Geschichtsbilder, die mittels historischer Romane vermittelt werden (obwohl in dieser Literaturgattung die Bildhaftigkeit deutlicher zutage tritt als in Sachtexten oder gar wissenschaftlichen Arbeiten) einmal weg: Beschränken Sie sich auf die nicht weniger bedeutsamen Werke der Filmindustrie. Ganz erstaunlich, oder?
Ich erlaube mir, diese doch ziemlich gravierenden Veränderungen anhand weniger Beispiele zu verdeutlichen. Lassen Sie uns bei „Cleopatra“ (The Life and Times of Cleopatra ), einem der vielen zeitlich in der Antike angesiedelten Hollywoodschinken aus dem Jahr 1963, beginnen, in dem wir lediglich Zeuge einer Love Story zwischen Elizabeth Taylor und Richard Burton vor einem historisch angehauchtem Hintergund werden. Der fast 40 Jahre später erschienene, kommerziell überaus erfolgreiche und mit fünf Oscars prämierte Monumentalfilm „Gladiator“ war letztlich auch nichts anderes als ein Dokument amerikanischer Befindlichkeit zu Beginn des 3. Jahrtausends (der Gladiator als Sportheld, die Präsentation des Geschehens in der Arena im Stil einer Sportübertragung, die Psychologisierung des Heldens, die Analogiebildung zwischen dem römischen Imperium und den USA etc.). Und da ist da noch diese Fernsehserie des amerikanischen Kabelsenders Starz, die 2010 startete: „Spartacus – Blood and Sand“. Die in Anlehung an die wenig gesicherten historischen Grundlagen, die sich über den thrakischen Gladiator Spartacus festmachen lassen, verfilmte Lebensgeschichte eines herzeigbaren Muskelpakets lebt hauptsächlich von blutrünstigen Szenen und Passagen, die man eigentlich als pornografisches Werk einstufen muss.
Trotzdem: Seit den 60er-Jahren hat sich sehr viel getan, was die Ausgestaltung der Kulissen und überhaupt das gesamte Erscheinungsbild betrifft. Man mag sich zwar fürchterlich darüber aufregen, dass es so ein Machwerk wie „Spartacus – Blood and Sand“ überhaupt gibt. Aber man muss trotzdem den Verantwortlichen dieser Softporno – Gewaltorgie zugestehen, dass sie sich bei der Gestaltung des Umfelds - soweit möglich – an die derzeit verfügbaren Ergebnisse der Forschung halten. Die in diesen Filmen dargestellten Alltagsszenen rücken die bislang idealisierten Vorstellungen von Glanz und Glorie Roms in ein wahrscheinlich ziemlich realistisches Bild. Die Verwendung vulgärer Ausdrücke in der Alltagssprache entspricht, wenn wir uns etwa die Gedichte Catulls zu Gemüte führen, mit großer Wahrscheinlichkeit der Realität. Die Graffiti an den Hauswänden, die so manch aufmerksamer Besucher des Archäologieparks Carnuntum sicherlich bemerken wird, haben also durchaus ihre Berechtigung. Man hat schließlich solche deftigen Sprüche auch in Pompeji gefunden.
Römerstadt Carnuntum:
Graffito an einer Hauswand
Die sich andauernd verändernden Geschichtsbilder im Kopf verhalten sich wie ein Schwamm, der alle neuen Informationen gierig aufsaugt. Versorgen Sie diesen Schwamm also mit möglichst vielen, möglichst aktuellen Informationen. Lesen Sie, was immer Sie in die Hände bekommen können. Schauen Sie sich alles an, was die modernen Medien an Neuerungen bieten. Haben Sie keine Scheu, auch mal ungewöhnliche Wege zu gehen. Benutzen Sie ruhig einmal bei Ihrem nächsten Museumsbesuch die dort immer häufiger anzutreffenden digitalen audiovisuellen Medien. Sie werden erstaunt sein, wieviel Spaß das machen kann.
Ohne gründliche Kenntnis kein wahrer Genuss
Wer tatsächlich etwas intensiver in die Welt der Antike eintauchen möchte, wird auch nicht umhin kommen, so oft wie möglich originale Relikte aus der Vergangenheit zu bestaunen und Reisen zu diversen Originalschauplätzen zu unternehmen. Auf jeden Fall ist es aber so, dass man von solchen Reisen (und auch Museumsbesuchen) mehr profitieren kann, je besser man vorbereitet ist. Das hat schon übrigens Goethe in seiner „Italienischen Reise“ festgestellt.
„Was im Anfang einen frohen Genuss gewährte, wenn man es oberflächlich hinnahm, das drängt sich hernach beschwerlich auf, wenn man sieht, dass ohne gründliche Kenntnis doch auch der wahre Genuss ermangelt.“
Johann Wolfgang von Goethe