Originale Ausgrabungen machen oft nur die Grundrisse einstiger Häuser sichtbar und verlangen daher vom Betrachter viel Fantasie, den ursprünglichen Zustand der offengelegten Gebäude geistig nachempfinden zu können. Da erleichtern alle Arten von Rekonstruktionen zweifellos die visuellen Erkenntnisprozesse. Den größten Eindruck hinterlassen dabei jedenfalls die begehbaren Rekonstruktionen im Maßstab 1:1.
Rekonstruktionen sind Teil der experimentellen Forschung, wo versucht wird, offene Fragen im Rahmen von Experimenten einer Antwort näher zu bringen. Die Archäologen entwickeln anhand des Grabungsbefundes eine erste Vorstellung, wie das Gebäude ausgesehen haben kann. Aber erst durch die Realisierung eines echten Bauwerks können viele noch offene Fragen geklärt werden. Natürlich ist allen Beteiligten bewusst, dass ein gelungener Bau allerdings nur eine von meist mehreren Möglichkeiten darstellt. Durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedenster Gruppen von Fachleuten hat man sich lediglich um ein ganzes Stück näher an die Wirklichkeit herangetastet.
Rekonstruktionen sind bei den Besuchern von Freiluftmuseen sehr beliebt, wie jederzeit an der Entwicklung der Besucherzahlen abzulesen ist, und wie auch entsprechende Untersuchungen beweisen. Sie haben eine enorme visuelle Wirkung und bleiben viel stärker im Gedächtnis haften.
Weil die Rekonstruktionen von der Bevölkerung so gut aufgenommen werden, kann durch die Errichtung und Vermarktung derselben die Öffentlichkeit wirkungsvoll von der Bedeutung der Denkmalpflege überzeugt werden.
Da die begehbaren Rekonstruktionen ganzer Gebäude oder Gebäudeteile häufig in situ, also direkt am Originalstandort und über der Ausgrabungsstätte, aufgebaut werden, wird der ansonsten freiliegende und somit den Witterungseinflüssen ausgesetzte archäologische Bestand dauerhaft geschützt.
Im Artikel 15 der Charta von Venedig heißt es: „Jede Rekonstruktionsarbeit soll von vornherein ausgeschlossen sein, nur die Anastylose kann in Betracht gezogen werden.“
Die neu errichteten Bauten erwecken den Eindruck, historisch zu sein, was dann beim Betrachter den Sinn für das echte historische Denkmal und dessen Geschichtlichkeit untergräbt. Die Rekonstruktionen werden als authentisches Zeugnis und nicht als verwirklichtes geistiges Produkt eines Teams aus Archäologen und Technikern gesehen.
Jede Rekonstruktion ist zwangsweise immer ein Produkt der Zeit, in der sie entsteht. Schließlich spiegeln die Annahmen, die zur Ausgestaltung des neu errichteten Bauwerks führen, den jeweiligen Forschungsstand wieder.
Die vielen Hypothesen, die in der Rekonstruktion wiedergegeben werden, führen dazu, dass man sich bei unklaren Situationen meist für vereinfachte Formen entscheidet oder zu Kompromissen neigt, welche sich eher an den Anforderungen orientieren, die es zu beachten gilt, wenn man Besuchermassen durch ein Ausstellungsgelände bugsieren muss. So haftet diesen Nachbauten häufig ein Modellcharakter an, der bei den Besuchern falsche Vorstellungen hervorruft.
Werden in einem Ausstellungsgelände einige Punkte durch solche Nachbauten (das gilt übrigens auch für im Zuge einer Anastylose errichtete Gebäude) besonders betont, ziehen diese dann den größten Teil der Aufmerksamkeit der Besucher an sich. Die archäologische Landschaft wird dann nicht mehr in ihrer Gesamtheit erfasst.