Gesichert ist, dass bald nach 2000 v. Chr. in Kreta mehrere große, um einen Zentralhof angelegte Gebäudekomplexe entstanden, die in ihrer architektonischen Gestaltung einem einheitlichen Schema folgen. Offenbar wurde von diesen Zentren aus die Verwaltung größerer Bereiche der Insel organisiert. Zugleich erfüllten die (seit Evans so genannten) „Paläste“, die in städtische Strukturen mit Wohnhäusern, Werkstätten, Heiligtümern und Stadtvillen eingebunden waren, kultische Funktionen und bestimmten maßgeblich das wirtschaftliche Leben. Wie es derzeit den Anschein hat, gab es für diese beeindruckenden Anlagen keine wirklichen Vorläufer. Man nimmt daher an, dass die Entstehung dieser minoischen Paläste ein Resultat einer innerkretischen Entwicklung ist.
Im 17. Jahrhundert v. Chr. wurden die Paläste auf der ganzen Insel durch eine Erdbebenkatastrophe zerstört. Sehr schnell wurden die Anlagen in nahezu gleicher Weise, allerdings mit noch größerer architektonischer Raffinesse wieder aufgebaut. Gegen 1450 v. Chr. versanken die Paläste samt den umliegenden Städten erneut in Schutt und Asche. Mit einiger Wahrscheinlichkeit könnte dies mit einer Invasion der mykenischen Festlandgriechen in Verbindung zu bringen sein, die seit dem 16. Jh. v. Chr. in Konkurrenz zu Kreta standen. Als schließlich ein Brand, der um 1375 v. Chr. auch noch Knossos, das noch einige Zeit weiter bestand, zerstörte, war das Ende der durch die Paläste geprägten ersten europäischen Hochkultur dann endgültig besiegelt.
Die als „Paläste“ bezeichneten Gebäudekomplexe (Knossos, Phaistos, Malia, Kato Zakros, Galatas, Petras, Monastiraki, die als „kleiner Palast“ bezeichnete königliche Villa in Agia Triada, zum Teil auch Zominthos und das zentrale Gebäude in der Stadt Gournia) weisen jedenfalls viele architektonische Gemeinsamkeiten auf. So besitzen alle u. a. einen nord-süd-gerichteten zentralen Hof, um den sich mehrere Palasttrakte ordnen, Vorratsräume, Wohn- und Kulträume, Verwaltungsstellen und Werkstätte. In der Regel waren sie mehrstöckig. Die Räume im Erdgeschoss sind klein und verwinkelt. Treppenhäuser ermöglichen die Verbindung zwischen den Geschossen. Lichtschächte und Lichthöfe sorgten für die Belichtung und Belüftung der Räume. Auffallend ist, dass keiner der Paläste befestigt war, auch die umliegenden Siedlungen weisen keine Ummauerungen auf.
DER ZENTRALHOF
Das Herzstück der baulichen Gestaltung eines minoischen Palastes bildet ein rechteckiger, nord-süd-gerichteter Zentralhof, von dem aus sich verschiedene unterschiedlich genutzte Raumeinheiten teils durch direkte Zugänge, teils über Korridore erschließen. Vom Zentralhof aus gesehen muss der Palast durch seine reich gegliederten Fassaden mit Säulen- und Pfeilerstellungen, Loggien und Balkonen eine prachtvolle architektonische Kulisse geboten haben.
DER WESTHOF
Vor der Westfassade mit seinen hohen Sockeln und massiven, durch Vor- und Rücksprünge gegliedertem Mauerwerk lag der gepflasterte Westhof. Typisch für diesen wahrscheinlich rituell genutzten, weiträumigen Hof sind diagonale Wegführungen aus erhöht verlegten Steinplatten. Von der umgebenden Stadt aus gesehen muss diese monumentale Fassade eher abweisend gewirkt haben, zumal es in der Westfassade kein zentral platziertes, monumental gestaltetes Haupttor gab.
DIE SCHAUTREPPE
Diese großen, flachen Stufenanlagen, die sich am Rand eines größeren freien, unbebauten Platzes befanden, dienten als Versammlungsort. Von dort konnten die Menschen Prozessionen, Opferhandlungen oder ähnlichen Handlungen verfolgen. In architektonischer Form und Funktion stellen diese Schautreppen somit in gewisser Weise eine Vorform der Sitzreihen für Zuschauer in den antiken Theatern dar.
DIE TREPPEN
Die Paläste waren mehrstöckig. Deshalb gab es dort viele Freitreppen und auch Treppenhäuser mit einer Plattform auf halber Höhe.
DAS POLYTHYRON
Eingänge und Durchgänge werden häufig in Form von Polythyra, einem Nebeneinander mehrerer, durch pfeilerartige Türpfosten gegliederte Öffnungen gelöst. In den heißen Sommermonaten blieben diese Durchgänge geöffnet, was zu einer guten Belüftung beitrug. In den kalten Wintermonaten bleiben diese „Vieltürer“ geschlossen.
DIE MAGAZINE
In allen minoischen Palästen gab es Magazine, in denen große Pithoi, Vorratsgefäße für Öl oder Getreide aufgestellt waren.
DAS LUSTRALBECKEN
Es wird vermutet, dass die sog. Lustralbecken, eingetiefte, mit Steinplatten verkleidete Räume, eine kultische Funktion hatten.
DIE KOULOURES
Arthur Evans nannte die großen, rund ausgemauerten Gruben wegen der ähnlichen Form nach Kouloura, dem runden griechischen Brot, Kouloures. Bezüglich der Funktionen dieser Kouloura gibt es mehrere Theorien. So könnten diese Gruben, die aus der Zeit der ersten Paläste stammen, Abfallgruben für Müll oder Opferrückstände, Zisternen oder auch Getreidespeicher gewesen sein. In zwei Gruben sieht man die Überreste von Gebäuden aus den letzten Jahren der Vorpalastzeit.
DIE KANALISATION
Die Flachdächer, die offenen Korridore, die Innenhöfe, und nicht zuletzt die großen Zentralhöfe erforderten eine Ableitung des Regenwassers, was durch tönerne oder steingefasste Leitungen gewährleistet wurde.
DER FACHWERKBAU
Die Minoer verwendeten sehr häufig Holz, nicht nur zur Herstellung von Fensterrahmen und Türgewänden. Um den Bruchstein- und Lehmziegelmauern zusätzliche Festigkeit und Elastizität zu verleihen, konstruierten sie Fachwerke aus waagerechten und senkrechten Holzbalken. Zwischen den Wandverkleidungen aus Alabaster in Agia Triada sieht man heute noch die Spalten für senkrechte Holzbalken, die die Konstruktion zusammenhielten und ihr besondere Festigkeit und Elastizität verliehen, was bei den häufig vorkommenden Erdbeben nicht ganz unwesentlich war.
DIE MINOISCHE SÄULE
Auf der nur wenig über den Boden hinausragenden Basis aus Stein ruht eine hölzerne Säule, die sich nach oben hin verbreitert und mit einem runden, wulstförmigen Kapitell, auf dem sich ein rechteckiger Abacus befindet, abschließt.
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