Genieße jede Lust, die der Augenblick bietet
Aristippos von Kyrene (ca. 435 - ca. 355 v. Chr.) geht davon aus, dass es sich beim Zustandekommen von Empfindungen um körperlich-seelische Vorgänge handelt. Da nun gute Empfindungen gleichbedeutend mit lustvollen und schlechte mit schmerzvollen sind, hat dies seiner Meinung nach zur Folge, dass sich menschliches Handeln in letzter Konsequenz immer um der Lust (Hēdonḗ) und des Genusses willen vollzieht. Schließlich weiß doch jeder, dass „Lust erwünscht“ und Schmerzen automatisch „zurückgewiesen“ werden. Demzufolge liegt der Weg zum Glück darin, lustvolle Augenblicke ganz bewusst herbeizuführen und schmerzlichen Empfindungen bestmöglich auszuweichen.
„Das höchste Gut und das Ziel all unseres Tuns ist die Lust,
das größte Übel ist der Schmerz.“ (1)
Wodurch solche erwünschten Lustempfindungen herbeigeführt werden, war dem Zeitgenossen des Sokrates übrigens ziemlich egal. Ob man das Ziel durch gesellschaftlich anerkannte oder von der Gesellschaft verpönte Handlungen erreicht, spielte dabei wenig Rolle. Auch unterschied er nicht zwischen verschiedenen Arten von Lüsten, ging es ihm doch vorwiegend um körperliche und nicht intellektuelle Lustempfindungen. Laut Diogenes Laertius soll Aristippos „jede Lust“ genossen haben, „die der Augenblick bot, ohne ängstlich nach Genüssen zu jagen, die in dunkler Ferne liegen“. Über sein persönliches Verhältnis zur Lust äußerte sich der eben erst Angesprochene: „Ich bin ihr Herr und nicht ihr Knecht“. Kritikern seiner Ansichten, die es natürlich auch gab, hielt er entgegen: „Wäre das verwerflich, so würde es gewiss bei den Göttern nicht zulässig sein“.
„Zu gebieten über die Lust und ihr nicht zu unterliegen,
das ist wahrhaft preiswürdig, nicht sie sich zu versagen.“ (2)
Lebe gut
Platon (ca. 428 - ca. 348 v. Chr.) setzte an die Stelle der Lust die „Idee“ des „Guten“ (Agathón). Dieses abstrakte „Gute“ an sich ist seiner Ansicht nach das höchste Ziel, das es zu erreichen gilt. Wer dieses Ziel erreicht, verwirklicht damit die Eudaimonie. Der Lust und dem Lustgewinn maß er im Hinblick auf das Erreichen eines erfreulichen, ausgeglichenen Gemütszustandes hingegen keinerlei Bedeutung zu. Er trennte sogar klar die Eudaimonie von der Lust. Anders als sein Zeitgenosse Aristippos hielt er einen Lustgewinn aus der Befriedigung leiblicher Bedürfnisse in dem Zusammenhang sogar für gänzlich wertlos.
„Den Guten nenne ich glücklich.
Wer aber Unrecht tut, den nenne ich unglücklich.“ (3)
Wie auch schon für seinen Lehrer Sokrates hängt für Platon das Erreichen der ersehnten Eudaimonie hauptsächlich von der Lebensführung ab. Dabei spielen Begriffe wie Gerechtigkeit, Besonnenheit, Beherrschtheit, Selbstdisziplin und Tapferkeit eine große Rolle. Wenn es gelingt, die chaotischen Begierden seiner Seele der Herrschaft der Vernunft (Nous) zu unterstellen, dann ist man auf dem besten Weg, ein vernunftgegründetes, tugendhaftes Leben zu führen, was wiederum Voraussetzung dafür ist, dauerhaft glücklich zu sein.
„Denken was wahr, und fühlen was schön, und wollen was gut ist:
darin erkennt der Geist das Ziel des vernünftigen Lebens.“
(4)
Keinesfalls aber hängt das Glück des Einzelnen von Reichtum und Besitz materieller Güter ab. Zur Eudaimonie gelangt man vielmehr, indem man sich umfassend bildet, tugendhaft, sittlich korrekt lebt und so am beständigen Glück, dem Agathón, teilhaben kann.
Entfalte deine Persönlichkeit
Für Aristoteles (384 - 322 v. Chr.) liegt der Weg zum Glück in der Selbstverwirklichung, also der weitgehenden Realisierung der eigenen Ziele und Wünsche. Im Mittelpunkt seiner diesbezüglichen Überlegungen steht dabei der von ihm selbst eingeführte Begriff „Entelechie“. Dabei geht er davon aus, dass das Streben jedes Menschen, sich im ganzen Umkreis seiner Möglichkeiten, Begabungen und Talente bestmöglich verwirklichen zu wollen, in ihm selbst seinen Ursprung hat und dort auch verankert ist.
„Jedes Lebewesen trägt Ziel und Zweck in sich selber
und entfaltet sich gemäß dieser inneren Zielstrebigkeit.“ (5)
Gelingt es, sich entsprechend seiner natürlichen, vorbestimmten Veranlagung zu entfalten, wird man auch Eudaimonie erlangen. Das hat zur Folge, dass der Eigenleistung des Glückssuchenden eine wesentliche Rolle zukommt. Glück ist demnach für Aristoteles kein subjektives Gefühl, das einem einfach zufällt, man muss schon aktiv und dauerhaft etwas dafür tun.
Eudaimonie ist Tätigsein der Seele im Sinne der ihr wesenhaften Tüchtigkeit. (6)
Besonders verwunderlich ist es nicht, dass der Universalgelehrte bei der Auflistung der Tätigkeiten, die zu einem gelingenden Leben führen können, der zweckfreien philosophisch-wissenschaftlichen Betrachtung der Wirklichkeit durch reines Denken (Theoria) eine besondere Bedeutung zumisst. Er räumt aber ein, dass es sich bei der Fähigkeit, in diesem Sinne tätig sein zu können, nicht um eine selbstverständliche Gegebenheit handelt. Immer wieder betont er, dass auch geistige Fähigkeiten, Vermögen, Gesundheit und äußere Umstände - insbesondere die Erziehung - zu den relevanten Glücksbedingungen zählen.
„Die Glückseligkeit stellt sich dar als ein Vollendetes und sich selbst Genügendes, da sie das Endziel allen Handelns ist.“ (7)
Schränke deine Bedürfnisse ein
Eine besonders radikale Position vertraten die Kyniker, die weniger Philosophen als vielmehr Verfechter einer ganz bestimmten Lebensweise waren. Zu den bekanntesten Vertretern dieser philosophischen Strömung zählen der Sokrates-Schüler Antisthenes (ca. 445 - ca. 365 v. Chr.) und vor allem Diogenes von Sinope (ca. 413 - ca. 323 v. Chr.). Die Grundidee ihrer Lebensanschauung bestand darin, jeglichen Besitz auf das Notwendigste zu reduzieren, um Glückseligkeit durch größtmögliche Unabhängigkeit von nicht beeinflussbaren Umständen und sinnlichen Eindrücken (Autarkie) zu erreichen.
„Ich besitze nicht, damit ich nicht besessen werde.“ (8)
Diogenes, der vor allem durch die bekannte Anekdote, in der er Alexander dem Großen begegnet sei („Geh mir nur ein wenig aus der Sonne“), eine gewisse Berühmtheit erlangt hat, vertrat die Ansicht, dass richtig glücklich nur der sein kann, der sich erstens von überflüssigen Bedürfnissen freimacht und zweitens unabhängig von äußeren Zwängen ist. Er erkannte ausschließlich die Elementarbedürfnisse nach Essen, Trinken, Kleidung, Behausung und Geschlechtsverkehr an. Lust und Lustempfindungen scheint Diogenes nicht als besonders wertvoll und auch nicht als unbedingt notwendig angesehen zu haben. Um nun gegen dem durch diese Lebensweise verursachten physischen Leid als auch gegenüber dem Bedürfnis nach Lustgewinn die dafür notwendige Unempfindlichkeit (Apatheia) gewinnen zu können, empfahl er, die Willenskraft zu stärken und den Körper abzuhärten.
„Es ist göttlich, nichts zu bedürfen, und gottähnlich, nur wenig nötig zu haben.“ (9)
Kontrolliere deine Emotionen und Triebe
Die von Zenon von Kition (ca. 333 - ca. 262 v. Chr.) gegründete philosophische Schule der Stoa sah ihre Hauptaufgabe darin, den Menschen zu zeigen, wie sie glücklich werden können. Dabei empfahlen die Stoiker, sich ganz auf die eigene Seele zu konzentrieren und alles Äußerliche, also etwa Reichtum, Macht, Ansehen, aber auch Gesundheit, ja sogar den Tod als gleichgültig anzusehen und ganz in der Übereinstimmung mit der Natur zu leben. Die Seelenruhe (Ataraxie) und von Gefühlen ungestörten Gelassenheit (Apatheia), die aus einer solchen Haltung erwächst, war für die Anhänger dieser Denkrichtung die höchste Form des Glücks. Hauptsächlich geht es also darum, sich lebenslang um das Maßhalten und Zügeln seiner Leidenschaften (Affekte) zu bemühen. Dies kann gelingen, indem man sein Verhalten ausschließlich vom Verstand leiten lässt und die Regungen der Emotionen und Triebe unterdrückt. Einen besonderen Stellenwert hat dabei die Einsicht, dass man strikt zwischen den Dingen, die man selbst beeinflussen kann und denen, die außerhalb der Macht des Einzelnen stehen, trennen soll.
„Wenn du das von Natur Unfreie für frei, das Fremde dagegen für
dein Eigentum hältst, dann wirst du nur Unannehmlichkeiten haben,
wirst klagen, wirst dich aufregen.“ (10)
Im Laufe der Jahrhunderte hat sich die Lehre der Stoa weiterentwickelt und sich neuen Einsichten geöffnet. Ein zentraler Bestandteil ihrer Lehre blieb aber immer, danach zu streben, stets beherrscht zu sein und sich durch nichts aus der Ruhe bringen zu lassen. Im Rahmen ihrer philosophischen Praxis entwickelten sie daher viele Empfehlungen, wie man diese innere Haltung, die sprichwörtliche „stoische Ruhe“, erreichen kann.
Suche Lust und vermeide Unlust
Auch Epikur (ca. 341 - ca. 271 v. Chr.) und seine Anhänger waren der Meinung, die Lust sei „Ursprung und Ziel des glückseligen Lebens.“ Allerdings reduzierten sie Lust im philosophischen Sinn keineswegs auf eine Abfolge intensiv erlebter sinnlicher Vergnügungen. Es ging ihnen vielmehr um das lustvolle Leben als Ganzes und um vollkommenen inneren Frieden (Ataraxie) als dauerhaften Zustand. Nach Ansicht der Epikureer kann dieses Ziel erreicht werden, indem man konsequent alles vermeidet, was langfristig mehr Leid als Lust erzeugt. Seneca bringt diese Position folgendermaßen auf dem Punkt: “ Bei Epikur sind es zwei Güter, aus denen die höchste Glückseligkeit zusammengesetzt ist: dass der Körper frei von Schmerzen und dass der Geist frei von Unruhe ist.“ (11)
Gemäß der von Epikur entwickelten hedonistischen Lehre müssen zwar die natürlichen Bedürfnisse, die um der Gesundheit des Körpers willen erforderlich sind, unbedingt befriedigt werden. Ein Mangelzustand in dieser Beziehung führe nämlich zu Unlustgefühlen, was wiederum die Seelenruhe behindere. Alles Weitere könne man annehmen, wenn man denn möchte, allerdings nur solange es die Seelenruhe nicht beeinträchtigt. Das fortwährende Streben, Genuss auf Genuss zu häufen, stehe aber definitiv der Erreichung des eigentlichen Ziels im Wege. Zu der Frage, wie man nun diesen höchsten Grad an Lust erreichen kann, hat Epikur eine Reihe von Grundsätzen und Verhaltensregeln erarbeitet, deren zentrales Element eine Bedürfnisökonomie darstellt. Das Höchstmaß an Lust wird dabei durch die Selbstgenügsamkeit (Autarkie) und durch die vernunftgeleitete Einschränkung der Bedürfnisse erreicht.
„Der größte Reichtum ist die Selbstgenügsamkeit.“ (12)
Enthalte dich jeglichen Urteils
Auf Pyrrhon von Elis (ca. 362 - ca. 270 v. Chr.) geht eine auf den ersten Blick ziemlich ungewöhnliche philosophische Strömung zurück, deren Bezeichnung sich von sképtesthai (spähen, prüfen, untersuchen) ableitet. Die von ihm sowie seinen Schülern vertretene Denkrichtung bzw. Lebensform, die pyrrhonische Skepsis, erhob den Zweifel zum Denkprinzip. Dabei wurde sogar die Möglichkeit, jemals zu einer gesicherten Erkenntnis gelangen zu können, in Frage gestellt.
„Niemand unter uns weiß etwas, nicht einmal eben das,
ob wir wissen oder nicht wissen.“ (13)
Auch die Pyrrhoneer erblickten die Glückseligkeit in der Ataraxie (Seelenruhe). Sie verwendeten zur Beschreibung des ersehnten seelischen Wohlbefindens ebenfalls die bekannte Metapher: „Glücklich ist, wer ungestört dahinlebt und sich in Ruhe und Meeresstille befindet“ (Sextus Empiricus). Nur ihre Herangehensweise an die Thematik unterschied sich von den übrigen philosophischen Schulen doch deutlich. Anfangs suchten die Skeptiker den Weg zum Glück darin, in den Besitz der endgültigen Wahrheit zu gelangen. Bei der Erlangung der dafür notwendigen Erkenntnisse, stellte sich aber das Problem der Gleichwertigkeit von Argumenten. Denn zu jedem Argument lässt sich ihrer Ansicht nach ein Gegenargument von gleicher Stärke finden (Isosthenie). Daher schlagen die Skeptiker vor, sich gänzlich aller Werturteile über die Dinge zu enthalten (Epoché). Die Schussfolgerung lautet also: Wenn du glücklich sein willst, bleibe stets gelassen und enthalte dich jeglichen Urteils.
„Der Skeptiker begann zu philosophieren, um die Vorstellungen zu beurteilen und zu erkennen, welche wahr sind und welche falsch, damit er Ruhe finde. Dabei geriet er in den gleichwertigen Widerstreit, und weil er diesen nicht entscheiden konnte, hielt er inne. Als er aber innehielt, folgte ihm zufällig die Seelenruhe in den auf Meinung beruhenden Dingen.“ (14)
Lebe im Hier und Jetzt
Eine wichtige Voraussetzung zur Erlangung der Eudaimonie stellt die Fähigkeit dar, ganz bewusst im Hier und Jetzt leben zu können. Aber das ist bekanntlich gar nicht so einfach. „Den einen hält“ nämlich, wie Seneca (ca. 1 - 65 n. Chr.) in seinem lesenswerten Werk „Von der Kürze des Lebens“ feststellt, „unersättliche Habsucht in ihren Banden gefangen, den anderen eine mühevolle Geschäftigkeit, die an nutzlosen Aufgaben verschwendet wird. Der eine geht ganz in den Freuden des Bacchus auf, der andere dämmert in trägem Stumpfsinn dahin. Den einen plagt der Ehrgeiz, der immer vom Urteil anderer abhängt, den anderen treibt der gewinnsuchende, rastlose Handelsgeist durch alle Länder“.
„Das größte Hemmnis des Lebens ist die Erwartung, die sich an das Morgen hängt und das Heute verloren gibt.“ (15)
Das führe dazu, dass die Menschen auf der steten Jagd nach Befriedigung von sinnlichen Begierden oder aufgrund von Gier oder Ehrgeiz ihre ganze Lebenszeit verschwenden. „Ihr lebt, als würdet ihr immer leben“, konstatiert Seneca. „Ihr habt nicht acht darauf, wieviel Zeit bereits vorüber ist; ihr verschwendet sie als wäre sie unerschöpflich“. Hat dann aber für diese „Zeitverächter“ das letzte Stündlein geschlagen, wundert man sich, „wie schnell sie bereit sind, all das Ihrige hinzugeben, um nur am Leben zu bleiben“. „Greise betteln mit Gelübden um einen Zusatz von wenigen Jahren. Und wenn irgend welcher Schwächeanfall sie an ihre Sterblichkeit mahnt, wie zittern sie da vor dem Tode. Toren seien sie gewesen, die kein wirkliches Leben geführt hätten“.
„Fang jetzt zu leben an und zähle jeden Tag als ein Leben für sich.“ (16)
Der Autor rät daher dem Adressaten des Textes, den er für einen rastlosen, unbefriedigten und selbstentfremdeten Vielbeschäftigten hält, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen und sein Leben in philosophischer Muße (Otium) zu verbringen. Allein die Philosophie, so Seneca, lehrt nämlich richtig zu leben und zu auch zu sterben.
„Lang ist das Leben, wenn es erfüllt ist. Es erfüllt sich aber, wenn der Geist seine spezifischen Anlagen entwickelt und Herr seiner selbst geworden ist.“ (17)
ANMERKUNGEN
(1) Aristippos von Kyrene in: Hellmut Flashar (Hrsg.): Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie der Antike. Schwabe (Basel 1998)
(2) Aristippos von Kyrene in: Diog. Lart. II,8,75
(3) Platon in: Gorgias
(4) Platon (wird manchmal auch Johann Gottfried Herder zugeschrieben)
(5) Aristoteles in Wilhelm Weischedel: Die philosophische Hintertreppe. Nymphenburger (München 1966)
(6) Aristoteles in: Nikomachische Ethik
(7) Aristoteles in: Nikomachische Ethik
(8) In: William James Durant: Kulturgeschichte der Menschheit. Babd 3. Südwest (München 1978)
(9) Diogenes von Sinope
(10) Epiktet in: Handbüchlein der Moral
(11) Seneca in: ep. 66,45
(12) Epikur
(13) Metrodoros von Chios
(14) Sextus Empiricus in: Grundriß der Pyrrhonischen Skepsis I,12,
(15) Seneca in: Von der Kürze des Lebens
(16) Seneca in: Von der Kürze des Lebens
(17) Seneca in: Epistulae ad Lucilium 93,2-4
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