Die etruskische Nekropole von Castel d’Asso wurde im Jahr 1817 vom italienischen Gelehrten Francesco Orioli dem Vergessen entrissen und als eine der ersten bedeutenden Felsnekropolen der Etrusker beschrieben. In den folgenden Jahrzehnten zog dieser geheimnisvolle Ort das Interesse gebildeter Reisender und Künstler auf sich, die in der stillen Landschaft des Latium den Spuren einer versunkenen Welt nachspürten. Wer der „etruskischen Route“ zwischen Cerveteri, Tarquinia und Viterbo folgte, konnte hier, zwischen zerklüfteten Schluchten und verwitterten Fassaden, die Monumentalität der etruskischen Grabbauten bestaunen – steinerne Zeugen einer untergegangenen Zivilisation.
Besonders lang ist sie nicht, diese tief in den vulkanischen Tuffstein eingegrabene Schlucht, in der sich die in der Fachwelt schon seit dem Beginn des 19. Jhs. bekannten etruskischen Grabanlagen befinden. Aber ein Besuch dieser Nekropole lohnt sich allemal, vor allem dann, wenn man einmal die Überreste eines Sottofacciatagrabes in natura sehen möchte. Die Nekropole Castel d’Asso weist übrigens – nach der Totenstadt Crocefisso del Tufo in Orvieto – die größte Anzahl von Grabinschriften auf. An zahlreichen Grabfassaden sind die Wörter
eca suthi(„dies ist das Grab“) und danach der Name der Familie, der das Grab gehörte, eingemeißelt.
Der britische Diplomat und Etruskologen-Pionier George Dennis besuchte Castel d’Asso im 19. Jahrhundert und beschrieb die Nekropole begeistert in seinem Werk "The Cities and Cemeteries of Etruria" (1848). Er bezeichnete die Monumente als „würdig des Nils“ und verglich sie mit ägyptischen Bauten – ein Hinweis, dass Castel d’Asso schon bald nach der Entdeckung zu einem Ziel von Archäologie- und Kulturinteressierten wurde. George Dennis: Tal der Gräber, Castel d'Asso1848. © Bild: Wikimedia Commons
Neben den bereits erwähnten Würfelgräbern, die es in den Versionen mit einfacher und komplexer gestalteten Fassadengestaltung gibt, finden sich in unmittelbarer Nähe zu den Gräbern der Oberschicht auch bescheidene Grabhöhlen und in den Stein gemeißelte Gruben, in denen die Verstorbenen der ärmeren Bevölkerungsschichten zur ewigen Ruhe gelegt wurden.
Zu Beginn des 3. Jhs. v. Chr. entwickelte sich der Grabtyp des Würfelgrabes zum sog. Sottofacciatagrab, bei dem die eigentliche Grabkammer unter die Fassade verlegt wurde. Ein Vordach trennte das Grab vom oberen Bauteil, dessen Fassade eine Scheintür aufwies. Im unteren Bereich war der Raum nach vorne hin offen. (Bei manchen dieser Anlagen – wie beim Grab 75 (Tomba Grande) war dieser Abschnitt sogar wie ein Portikus mit mehreren Säulen ausgestaltet.) Die wirkliche Grabkammer, in der die Sarkophage der Familie standen, ist ein völlig abgesonderter, unterirdischer Raum, in dem man durch einen abfallenden Gang weit vor der Fassade gelangte. Der von außen schräg abwärts führende Zugang (Dromos) wurde aber nur bei Bestattungen geöffnet.
Manchmal führten an der einen oder an beiden Seiten des Würfels in den Tuff gehauene Treppen empor. Man hat sie als Nachbildungen der wirklichen Stiegen aufgefasst, die an dem entsprechenden Platz des etruskischen Hauses auf die Dachterrasse hinaufführten, was auf eine Nachbildung des etruskischen Wohnhauses hindeutet. Einige Forscher meinen jedoch, dass die Krönung mit den betonten Linien unmöglich für eine Holzarchitektur erdacht worden sein könne. Sie gehöre organisch nicht zu dem Würfelmassiv, sondern wäre ein Aufsatz, der ein in sich geschlossenes Ganzes bildet. Die seitlichen Treppen wären demnach nur ein Resultat des technischen Vorgangs beim Herstellen eines Würfelgrabes. Andere wieder vertreten die Auffassung, die Treppen hätten dazu gedient, den Menschen den Zugang zur Oberseite des Würfels zu ermöglichen, wenn sie den Toten zu Ehren rituelle Handlungen vollzogen.
Im Grab 75 (Tomba Grande) finden sich hochentwickelte Einrichtungen für Grabbankette in dem gänzlich aus dem Felsen gehauenen sottofacciata Raum. Steinbänke innerhalb eines am Fuß der Fassade vorspringenden Raums mit Pultdach schufen Platz für solche Rituale.
Die über 15 m lange Grabkammer des Orioli-Grabes, das seinen Namen von dem Archäologen hat, der die Stätte als Erster entdeckte, diente mehreren Generationen in der Zeit zwischen 250 bis 150 v. Chr. als letzte Ruhestätte. In dem ungewöhnlichen, über fünfzehn Meter langen Raum waren mehr als sechzig Verstorbene eng nebeneinander untergebracht waren.
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Necropoli Etrusca di Castel d'Asso