Das Areal nordwestlich der Akropolis, das sich zu Beginn des 6. Jahrhunderts v. Chr. allmählich zu einem öffentlichen Platz und Herzstück des politischen und wirtschaftlichen Lebens entwickeln konnte, war vermutlich bereits seit der Jungsteinzeit bewohnt. In der Nähe von Brunnen geborgene Keramikfunde, die man auf rund
3000 v. Chr.
datierte, stellen die ältesten Belege für die Besiedelung dieses Gebietes dar. Allerdings konnten bislang noch keine direkten Siedlungsspuren aus dieser Zeit gefunden werden.
In weiterer Folge dürfte man dort einen Friedhof angelegt haben. Da man offensichtlich das Gelände zeitweise auch als Steinbruch verwendete, lassen sich leider keine Reste der Häuser, die sich wohl ab etwa 1000 v. Chr.
an jener Stelle befunden haben müssen, nachweisen. Gegen Ende des 8. Jahrhunderts v. Chr.
wurden viele Brunnen, die sich jener Periode zuordnen lassen, zugeschüttet, was auf einen Bevölkerungsrückgang zu der Zeit schließen lässt.
Der Ausbau eines alten Verkehrsweges, der von den Stadttoren im Nordwesten hinauf zur Akropolis führte, zu einer der Hauptstraßen Athens ab dem 6. Jahrhundert v. Chr.
dürfte dann schließlich den Startschuss für die Entwicklung eines damals noch unbedeutenden kleinen Fleckchen Erde zu einem der bedeutendsten Orte der Weltgeschichte geliefert haben.
Obwohl die Panathenäen-Straße, die die Agora durchquerte, einer der Hauptverkehrswege Athens war, bestand sie zumindest bis in die hellenistische Zeit nur aus einer gestampften Schotterdecke. Sie diente auch als Austragungsort von Veranstaltungen und Prozessionen verschiedenster Art. Für die Zuschauer wurden entlang der Straße hölzerne Tribünen errichtet.
Eine entscheidende Rolle spielt dabei sicherlich der Umstand, dass entlang dieser Straße regelmäßig eine Prozession im Rahmen des größten religiös-politischen Festes zu Ehren der Athene im antiken Athen führte. Die Einrichtung dieser unter dem Namen „Panathenäen (=Fest für alle Athener) – Prozession bekannt gewordenen Veranstaltung, die den Glanz und die Herrlichkeit des antiken Stadtstaates widerspiegeln sollte, wird dem Tyrannen Peisistratos (
ca. 600 – ca. 528 v. Chr.) zugeschrieben.
Als nächster Schritt stand die Wasserversorgung für den neuen Platz, an dem man Verwaltungsgebäude und kleinere Heiligtümer errichten wollte, an. Dazu wurde Wasser zu einem Brunnenhaus geleitet, das man westlich des Panathenäen-Weges errichtete. Etwa zur selben Zeit wurde wahrscheinlich von den Söhnen des Peisistratos auch ein Altar, der den 12 Göttern des antiken Griechenland geweiht war, als zentraler Ort für die Gemeinschaftsbildung errichtet.
Brunnenhaus:
Das zwischen 530 und 520 v. Chr. errichtete Gebäude bestand aus drei Räumen. Von einem etwas größeren mittleren Raum konnte man in zwei kleinere Räume gelangen. Wahrscheinlich hat sich in dem etwas tiefer gelegenen westlichen Raum ein Becken befunden, aus dem man Wasser schöpfen konnte. Im höher gelegenen östlichen Raum entnahm man Wasser aus Wasserspeiern. Das Wasser wurde mit Hilfe von Terrakotta-Versorgungsleitungen herangeführt. Dieses sog. Südostbrunnenhaus zählt zu den ältesten Bauwerken der Agora, die als öffentliches Projekt geplant wurden. © Bild: ASCSA Digital Collections. American School of Classical Studies at Athens: Agora Excavations
Später fügte man weitere Gebäude, wie das Alte Buleuterion , ein zur Zeit des Kleisthenes (
570 – 507 v. Chr.) errichtetes quadratisches Bauwerk, das dem Rat als Amtssitz diente und wo über Gesetze beraten und entschieden wurde, und vermutlich auch die Stoa Basileios, die dem für die Kulthandlungen verantwortlichen Archon basileus als Amtssitz diente, hinzu.
Etwa zur selben Zeit errichtete man einen steinernen Abwasserkanal, der überschüssiges Wasser hinab zum Eridanos, einem schmalen Bach, der in der Antike hauptsächlich unterirdisch durch das Gebiet der Agora floss, leitete. Den neu entstandenen öffentlichen Platz grenzte man formalrechtlich durch Grenzsteine (sog. Horoi) ab.
Die Agora vor den Perserkriegen:
Es ist zwar einigermaßen schwierig, sich eine Vorstellung darüber zu machen, wie die Agora vor der Zerstörung durch die Perser ausgesehen hat. Dennoch können wir uns anhand einiger Anhaltspunkte ein gewisses Bild von der damaligen Situation machen: So dürfte sich an der Stelle, wo man in späterer Zeit den Sitz der Ratsmitglieder (Tholos) errichten sollte, ein Vorgängerbau, das Prytanikon (1), befunden haben, von dem man annimmt, dass er für die gewählten Abgeordneten als Speisesaal gedient hat. Daneben wurde ein quadratisches, im Inneren nicht unterteiltes Gebäude als Bouleuterion (2)
identifiziert, das dem Rat (der Bule) als Amtssitz diente, wo über Gesetze beraten und entschieden wurde. Unter den heute sichtbaren Bauresten des der griechischen Muttergöttin, der Meter Theon, gewidmeten Heiligtums, das man später auch als Staatsarchiv nutzte, befinden sich die Reste eines älteren Metroons (3). Von dem Vorgängerbau des während der Perserkriege zerstörten Tempel des Apollon Patroos (4)
konnten nur die Reste einer Apsis freigelegt werden. Zwischen diesem Apollontempel und der der sog. Königsstoa, der Stoa Basileios (6)
befand sich ein Schrein des Zeus (5). Bei einer in der nordwestlichen Ecke der Agora gleich neben der Panathenäen-Straße (9)
befindlichen quadratischen Fläche aus Steinquadern muss es sich wohl, wie aus Inschrift auf der Umfriedung zu entnehmen ist, um den Altar der zwölf olympischen Götter (7)
handeln, der damals einen künstlichen Mittelpunkt Athens darstellte und wohl der Entfernungsmessung diente. Südlich des Zwölfgötteraltars fand man eine als herdartigen Altar (8)
gedeutete Steinsetzung, die vermutlich mit dem von Herodot erwähnten Aiakos-Heroon Heiligtum in Verbindung zu bringen ist. © Bild: ASCSA Digital Collections. American School of Classical Studies at Athens: Agora Excavations
DIE KLASSISCHE ZEIT
Während der klassischen Zeit (um 500 – ca. 330 v. Chr.) wurde in verstärktem Maße um- und neugebaut. Einige Gebäude, die der öffentlichen Verwaltung dienen sollten, kamen ebenso hinzu wie einige Säulenhallen (Stoen) und auch Sakralbauten, von denen sicherlich der auf dem Hügel, der die Agora westlich begrenzt, errichtete Tempel des Hephaistos in besonderem Maße hervorzuheben ist. In dem Zusammenhang sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die Verwaltungsgebäude erstaunlich schlicht gebaut wurden. Lehmziegelwände, Kalksteinsäulen und Böden aus gestampftem Lehm stellten die Norm dar. Teure Baumaterialien wie etwa Marmor waren den Göttern vorbehalten.
Die Agora um 400 v. Chr.:
Nach der Zerstörung der frühen Gebäude durch die Perser (480 v. Chr.) wurde das gesamte Areal neu gestaltet: Auf den Mauern des Prytanikons errichtete man die Tholos (1), ein rundes Gebäude, das dem Exekutivkomitee der Bule als Stammsitz diente. Neben dem Buleuterion, das nach der Zerstörung neu aufgebaut werden musste, entstand ein neues Bouleuterion (3), das im Gegensatz zum alten nicht mehr quadratisch war. Das alte Bouleuterion (2), nunmehr Metroon
genannt, wurde als Staatsarchiv genutzt. Der Bau von drei weiteren Säulenhallen (Stoen) sollten dazu beitragen, dass die räumliche Wirkung des immer bedeutender werdenden öffentlichen Platzes verstärkt werden konnte. Dabei handelte es sich um die südlich der Stoa Basileios (4)
gelegene Stoa des Zeus Eleutherios (5), die Stoa Poikile (6)
und schließlich die sog. Süd-Stoa I (7), die man wohl in der Zeit des Peloponnesischen Krieges errichtete. In der südöstlichen Ecke der Agora befand sich ein beinahe quadratisches Gebäude, das als staatliche Münzprägestätte (8)
identifiziert werden konnte. In der Südwestecke der Agora wurde eine ziemlich große Einfriedung ohne Dach ausgegraben. Man geht davon aus, dass es sich um einen Gerichtsaal, eventuell sogar um die Heliaia, dem größten Gerichtssaal Athens handelt. Andere wiederum meinen, dass sich an der 1953 ausgegrabenen Stelle ein Aiakeion (9), ein Heiligtum des Aiakos (Sohn des Zeus und der Tochter des Flussgottes Asopos) befindet. Im Nordosten der Agora befand sich ein Peristyl-Hof (10), bei dem man von einer Verwendung als Gerichtshof ausgeht. Auf dem Hügel, der die Agora westlich begrenzt, dem sog. Kolonos Agoraios, wurde Mitte des 5. Jhs. ein Tempel errichtet, bei dem es sich wahrscheinlich um ein Hephaisteion (11)
handelt. © Bild: ASCSA Digital Collections. American School of Classical Studies at Athens: Agora Excavations
Die Südwestecke der Agora in der Klassischen Zeit:
Links die Tholos, rechts daneben das alte und das neue Buleuterion. Auf dem Hügel der Tempel des Hephaistos. © Bild: Dimitrios Tsalkanis: ancientathens3d.com
DIE HELLENISTISCHE ZEIT
Während der hellenistischen Zeit (338 – 86 v. Chr.), als regelmäßige, von Säulenhallen gesäumte Plätze in Mode gekommen waren, kamen weitere große Stoen hinzu, die man aneinander ausrichtete. Im 2. Jahrhundert v. Chr.
entstand im südlichen Teil der Agora die sog. Mittel-Stoa. Von nun an war der Platz zweigeteilt, und zwar in einen kleineren Teil, der zwischen der neuen Mittel-Stoa und der Süd-Stoa II entstand, und den größeren nördlichen Bereich. Die Funktion des kleineren, von der Mittel-Stoa, der Süd- Stoa II und einem sog. Ost-Gebäude umgebenen Platzes, ist ungeklärt. Es wird vermutet, dass es sich um einen Marktplatz gehandelt haben könnte. Der verbleibende restliche Teil der Agora veränderte sich in der Zeit, als Athen immer mehr zum geistigen Mittelpunkt der antiken Welt wurde, auch gewaltig. Den größten Anteil daran hat sicherlich die Errichtung der nach König Attalos II. benannten zweistöckigen Stoa. Am Ende dieser Ausbaustufe war die Agora vollständig mit Gebäuden umgeben, die mit Säulenfronten geschmückt waren.
Die Agora im 2. Jahrhundert v. Chr.:
König Attalos II. von Pergamon ließ die ihm nach benannte Stoa des Attalos (1)
im 2. Jh. v. Chr. erbauen. Die aus Marmor und Kalkstein errichtete gedeckte Wandelhalle mit Marktläden kann man sich quasi als Vorläufer moderner Shoppingarkaden vorstellen. Bereits Anfang des 3. Jhs. v. Chr. dürfte nördlich des Hephaisteions auf dem Kolonos Agoraios (dem „Hügel neben der Agora“, einst ein Treffpunkt der athenischen Handwerker) ein Gebäude errichtet worden sein, das sich in einem so schlechtem Zustand befindet, dass eine eindeutige Identifizierung unmöglich erscheint. Es könnte sich um ein Arsenal (2)
für die Unterbringung von militärischem Gerät gehandelt haben. Das Metroon (3)
wurde um eine Säulenvorhalle ergänzt. Der neu entstandene Platz im südlichen Teil der Agora wurde von der teilweise auf den Mauern der alten Süd-Stoa I errichteten Süd-Stoa II (5), der neuen Mittel-Stoa (4), die aus einer das gesamte Gebäude umgebenden Säulen-Reihe bestand, und einem sog. Ost-Gebäude (6)
umrahmt, von dem aus man zur Panathenäen-Straße gelangen konnte.© Bild: Dimitrios Tsalkanis: ancientathens3d.com
Die südlichen Stoen während der Hellenistischen Zeit:
Links die Mittel-Stoa, gegenüber die neu errichtete Süd-Stoa II
, oben links befindet sich das Ost-Gebäude, rechts unten das rechteckige Aikeion
gleich neben dem Südwest-Brunnenhaus.
© Bild: Dimitrios Tsalkanis: ancientathens3d.com
DIE RÖMISCHE ZEIT
Nachdem die Römer den Achaischen Bund im Jahr 146 v. Chr.
besiegt und ganz Griechenland unter römische Kontrolle gestellt hatten, erlebte Athen um 100 v. Chr. eine ökonomische Blüte. Dies unter anderem auch deshalb, weil die Stadt, die schon seit 229 v. Chr. als „Freund“ Roms galt und die Römer schon früh unterstützt hatte. Als sich die Athener jedoch im Zuge der Mithridatischen Kriege (89 – 63 v. Chr.) gegen Rom stellten, kam es im Jahr 86 v. Chr.
zur Eroberung Athens durch die Truppen des römischen Feldherren Sulla und zur Plünderung der Stadt. Der Ort, der allerdings seinen Status als „freie Stadt“ behaupten konnte, erholte sich danach aber sehr schnell.
Bereits gegen Mitte des 1. vorchristlichen Jahrhunderts
zeigten die Römer ein immer größer werdendes Interesse an der für Kunst und Wissenschaft so bedeutsamen Stadt auf der Halbinsel Attika, was zu einer erhöhten Bautätigkeit führte. Den Beginn machte der Astronom Andronikos von Kyrrhos, der am Fuße der Akropolis einen 13 Meter hohen achteckigen „Turm der Winde“ errichtete, der als Wasseruhr und Wetterstation dienen sollte. Ganz in der Nähe entstand auf Veranlassung von Kaiser Augustus zwischen 19 und 11 v. Chr.
eine große, mit Marmorplatten gepflasterte und mit Portiken umgebene neue Agora („Römische Agora“). Während der Herrschaft Kaiser Hadrians
(117 – 138 n. Chr.), der mehrmals Athen besucht hatte, wurde dann nicht nur diese Römische Agora erweitert. Der ausgesprochene Philhellene Hadrian ( der übrigens für die Vollendung des Tempels des Olympischen Zeus und auch für den Bau des nach ihm benannten Hadrianstors verantwortlich war) ließ in unmittelbarer Nähe zur Römischen Agora eine ebenfalls nach ihm benannte Bibliothek erbauen.
Hadriansbibliothek und römische Agora:
Links die um 132 erbaute Hadriansbibliothek (auch Athener Universität genannt), wo das eigentliche Bibliotheksgebäude mit Lese- und Vortragssälen einen großzügig bemessenen Innenhof umgibt. Rechts daneben die Römische Agora, ein 111 × 98 m großer rechteckiger Platz umsäumt von Säulengängen, in denen Geschäfte untergebracht waren. © Bild: Dimitrios Tsalkanis & Chrysanthos Kanellopoulos: ancientathens3d.com
Nach Errichtung dieses weiteren Ortszentrums stand der Bebauung des nördlichen, größeren Teils der „alten“ Agora nun nichts mehr im Wege. In der Nordwestecke entstand etwa um die Zeitenwende der Arestempel, in dem Caesar als neuer Ares verehrt wurde. Außerdem errichtete man zwei Tempel, die ihrer Lage nach „Südwest-Tempel“ und „Südost-Tempel“ benannt wurden. Zweifellos gehört aber der Bau einer von Agrippa gestifteten riesigen Konzerthalle zu den spektakulärsten Neubauten auf der Agora in jener Zeit.
Das um 15 v. Chr. erbaute Odeion des Agrippa, das die Mitte des bis dahin offenen Raumes in der Mitte der Agora fortan beherrschen sollte. © Bild: Dimitrios Tsalkanis: ancientathens3d.com
Die klassische Agora in ihrer Blütezeit im 2. Jh. n. Chr.:
Das um etwa 15 v. Chr. erbaute und nach Marcus Vipsanius Agrippa, dem höchst einflussreichen Feldherren und Freund des Augustus, benannte Odeion (1)
bot rund 1000 Menschen Platz. Nach der Errichtung des von Herodes Atticus im Jahr 161 n. Chr. gestifteten Odeions auf der anderen Seite des Akropolis-Felsens diente das Odeion des Agrippa, dessen Fassungsvermögen mittlerweile auf die Hälfte reduziert worden war, Philosophen als Vortragssaal. Der Südwest-Tempel (2)
war vielleicht der kaiserlichen Familie gewidmet. Bei den Objekten daneben handelt es sich wahrscheinlich um Verwaltungsgebäude. Nach seiner Lage wurde der dort befindliche Sakralbau Südost-Tempel (3)
genannt. Der reiche Privatmann Titos Phlavios Pantainos
finanzierte eine nach ihm benannte Bibliothek (4). Das um das Jahr 100 n. Chr. errichtete etwas ungewöhnlich geschnittene Gebäude besaß an der Außenfront drei Stoen. Südlich der Basilika (6), ein dreischiffiger Handels- und Marktplatz, der wohl den römischen Provinzialbeamten auch als Verwaltungsgebäude diente, befand sich ein auf die Mitte des 2. Jhs. n. Chr. datierter Monopteros (5). Der Rundbau mit einem Durchmesser von etwa 7 Metern hatte keine Wände und bestand lediglich aus einer von Säulen getragenen Kuppel. Der dem Ares und der Athene geweihte Tempel (7), der sich ursprünglich an einem anderen Ort befand, wurde im Zuge des augusteischen Bauprogramms auf die Agora verlegt. Auch während der römischen Periode konnten die bereits im 4. Jh. v. Chr. aufgestellten Eponymen Heroen (8), die Statuen von zehn vom Orakel von Delphi ausgewählten Namensgeber für die zehn Phylen der kleisthenischen Reformen, ihren angestammten Platz verteidigen. Die Statuen standen auf einem 16 Meter langen und knapp 2 Meter breiten Podest.© Bild: ASCSA Digital Collections. American School of Classical Studies at Athens: Agora Excavations
In der
zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts
gelang es dann den (ost)germanischen Herulern, die vom Schwarzen Meer aus in die Ägäis eingedrungen waren, auf dem Peloponnes an Land zu gehen und weiter landeinwärts vorzustoßen. Im Jahr
267
eroberten sie auch Athen. Dies vor allem deshalb, weil die Verteidigungsanlagen seit deren Zerstörung durch Sulla vernachlässigt und nur notdürftig instand gesetzt worden waren. Im Zuge dieser Kriegshandlungen wurden die meisten Gebäude der Agora vollkommen zerstört. Allein der Tempel des Hephaistos blieb weitgehend intakt.
Zwar konnte sich die Stadt von den Zerstörungen weitgehend erholen und auch weiterhin ein bedeutendes geistiges Zentrum der antiken Welt bleiben, Athen war aber auf eine kleine Stadt mit bedeutend weniger Einwohnern geschrumpft. Im Zuge der damit zusammenhängenden Veränderungen wurde 280 n. Chr.
eine neue Stadtmauer (Postherulianische Stadtmauer) errichtet, die sich mit einem neuen Stadttor bei der Akropolis beginnend und weiter nördlich die Ruinen der Stoa des Attalos einbeziehend Richtung Hadriansbibliothek zog. Somit lag fortan die „alte“ Agora außerhalb der Stadtmauern des spätantiken Athen.
Postherulianische Befestigungsmauer: Die nach den Zerstörungen durch die Heruler errichtete Stadtmauer besteht fast vollständig aus Bruchmaterial, das von den zerstörten Gebäuden der Umgebung stammt. Die Ruinen der Attalos-Stoa wurden in die neue Mauer einbezogen. © Bild: Dimitrios Tsalkanis: ancientathens3d.com
Obwohl man sicherlich das Athen jener Tage nicht mit der Stadt vergleichen kann, die sie einst einmal war, ging das Leben trotzdem weiter. Von besonderer Bedeutung war, dass der Lehrbetrieb in den philosophischen Schulen davon unberührt blieb. Und so hielt der Zustrom an Lernwilligen, die in der Platonischen Akademie, bei den Peripatikern, den Stoikern, den Epikureern oder den Pyrrhoneern einen Zuwachs an Erkenntnis erwarteten, ungebrochen an. Der wohl berühmteste Studierende, der damals durch die Straßen Athens streifte, war sicherlich ein gewisser
Flavius Claudius Iulianus
(331/332 – 363). Der unter dem Namen „Julian der Apostat“ bekannt gewordene römische Kaiser wollte bekanntlich das durch Kaiser Konstantin im Reich privilegierte Christentum zurückdrängen und der alten römischen, besonders aber der griechischen Religion und den östlichen Mysterienkulten eine Vormachtstellung verschaffen. Vergeblich, wie wir wissen.
Um das Jahr 400 n. Chr.
kam es abermals zu einem Aufschwung, wenngleich dies auch der letzte sein sollte. Die Stadtmauern wurden wieder instand gesetzt, zahlreiche neue philosophische Schulen entstanden (wie z.B. das „Omega House“ am Nordhang der Akropolis) und die Überreste des Odeions des Agrippa wurden zu einem großen Komplex umgebaut, den man heute entweder als „Gymnasium“ oder als „Palast der Giganten“ bezeichnet.
Das Gymnasium bzw. der Palast der Giganten um 400 n. Chr.: Teile des von den Herulern zerstörten Odeions des Agrippa wurden im frühen 5. Jahrhundert in einen palastartigen Komplex integriert, dessen Zweck noch nicht geklärt ist. Sicher aber ist, dass im Eingangsbereich Säulen in Form von kolossalen Figuren (Tritonen und Giganten) Verwendung gefunden haben. Die Tritonen sind von der Taille an aufwärts Poseidon-Kopien, die Giganten sind dem Hephaistos im Parthenon-Ostgiebel nachempfunden.
Der Untergang Athens als Bildungszentrum war dennoch nicht aufzuhalten. Das hängt u. a. damit zusammen, dass
380
Kaiser Theodosius I. das Christentum faktisch zur alleinigen Staatsreligion erhob und Gesetze gegen das Heidentum und insbesondere gegen christliche Häresien erließ. Im Zuge dieses neuen Geistes wurde auch der Tempel des Hephaistos in eine christliche Kirche umgewandelt, die dem Heiligen Georg gewidmet war. Dieser Umbau ging zu Lasten des antiken Inneren, das völlig neu gestaltet wurde. Außerdem wurde die Tholos neu adaptiert und das Metroon in eine Basilika (ev. auch in eine Synagoge) umgewandelt. Zwischen
529
und
531
wurden dann durch Kaiser Justinian I. endgültig die Philosophenschulen geschlossen, was für Athen das endgültige Aus bedeuten sollte.
DIE BYZANTINISCHE UND OSMANISCHE ZEIT
Im
späten 6. Jahrhundert
wurde Athen dann von slawischen und awarischen Angreifern stark zerstört. Das Stadtgebiet schrumpfte auf ein kleines Gebiet rund um die Akropolis, in dem die Überreste der Hadriansbibliothek und des Theaters des Herodes Attikus integriert waren. Seit dem
10. Jahrhundert
war der Platz, an dem sich einst das Zentrum des antiken Athens befand, mit einem Wohnviertel überbaut. In dem Zusammenhang ist auch anzumerken, dass wahrscheinlich zu der Zeit über dem ehemaligen Nympheum eine byzantinische Kirche vom „Athener Typ“ errichtet wurde, die im Zuge der von der „
American School of Classical Studies at Athens“ durchgeführten Arbeiten neu errichtet worden ist (Kirche der Heiligen Apostel).
Die Häuser wurden nach Zerstörungen verursacht durch die Invasionen der Franken, Ottonen und Venezianer in den darauffolgenden Jahrhunderten neu errichtet. Während des Unabhängigkeitskrieges gegen die Türken, die seit 1456
in der Stadt herrschten, erfolgte 1826
dann die letzte Zerstörung der auf dem Areal befindlichen Häuser. Erneut wurde das Viertel neu aufgebaut.
DAS 19. JAHRHUNDERT
Wie uns ein Aquarell aus dem Jahr 1834
(2 Jahre nachdem Otto, der erste König von Griechenland, seine Herrschaft angetreten hatte) zeigt, war damals der Tempel des Hephaistos noch ziemlich gut erhalten. Auch die marmornen Tritonen und Giganten, die im Eingangsbereich des oben erwähnten spätrömischen Gebäudekomplexes aufgestellt waren, sowie das Nordende der Stoa des Attalos, das in voller Höhe erhalten ist, waren sichtbar.
Zwar wurde das Gelände, auf dem sich dereinst die Stao des Attalos befunden hatte, auf Initiative der Griechischen Archäologischen Gesellschaft in zwei Kampagnen (
1859 – 1862
und
1898 – 1902) vom Schutt befreit. Die übrigen Reste der antiken Agora blieben aber weiterhin tief vergraben und fast völlig vergessen. Der Ausbau der Athen-Piräus-Eisenbahnstrecke in den
1890er Jahren. verschlimmerte die Situation dann noch einmal, weil dadurch der Nordteil des Areals zweigeteilt wurde.
DAS 20. JAHRHUNDERT
Der griechische Staat übertrug schließlich der „
American School of Classical Studies“ Ende der
1920er Jahre
die systematische Ausgrabung der klassischen Agora. Auf dem Gebiet, das an die 10 Hektar groß ist, befanden sich allerdings noch ein paar hundert Häuser, die man kaufen und abreißen musste.
1931
begannen dann nach einigen Jahren der Vorbereitung die tatsächlichen Ausgrabungsarbeiten.
Seitdem haben zahlreiche Wissenschafter, Arbeiter und Studierende an den Grabungsarbeiten und der Auswertung der diesbezüglichen Ergebnisse mitgewirkt.
Im Zuge dieser Arbeiten entschloss man sich auch, die Stoa des Attalos und die Kirche der Heiligen Apostel möglichst originalgetreu zu rekonstruieren, um so den Besuchern eine Vorstellung davon zu vermitteln, wie diese Bauwerke damals ausgesehen haben könnten (>>
Rekonstruktionsbauten als Besuchermagneten: die Stoa des Attalos). In den
1950er Jahren
begann man dann auch die gesamte archäologische Stätte landschaftlich zu gestalten und in einen archäologischen Park zu verwandeln, den alljährlich hunderttausende Interessierte besuchen.
Ein Leitprinzip war es, einheimische griechische Pflanzen zu benutzen. Insgesamt wurden über 4500 Bäume und Sträucher gesetzt.