Nîmes

Nîmes: das französische Rom

In der vielfach als das „französische Rom“ bezeichneten Colonia Augusta Nemausus hat sich aufgrund einiger glücklicher Umstände der vielleicht am besten erhaltene Tempel auf dem Gebiet des Römischen Reiches erhalten. Bei einem Spaziergang in einer überaus sehenswerten Parklandschaft in der ehemaligen Hauptstadt der Provinz Gallia Narbonensis kann man einen mysteriösen Gewölbebau („Diana-Tempel“) und einen 32 Meter hohen Aussichtsturm aus gallo-römischer Zeit besichtigen. Darüber hinaus hat man dort auch die einmalige Gelegenheit, zu erahnen, wie  ein Augusteum für den Kaiserkult wohl ausgesehen haben mag.
Die Geschichte der südfranzösischen Stadt Nîmes reicht bis in die keltische Vergangenheit zurück, als der Stamm der Volcae Arecomici im 4. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung eine Siedlung namens Nemausus errichteten, dessen Zentrum eine bis heute fließende Quelle bildete, die von den Kelten als Gottheit verehrt wurde. Auch nachdem die Volsker von den Römern im 2. Jh. v. Chr. unterworfen worden waren, behielt der Ort, dessen Name von den Eroberern beibehalten wurde, eine gewisse Zentrumsfunktion. 

Einen ersten Aufschwung erlebte die Stadt, als Caesar Veteranen in der stetig wachsenden Stadt ansiedelte. In der weiteren Folge konnte dann vor allem während der beiden Statthalterschaften des Markus Vipsianus Agrippa in Gallien die für die an der Via Domitia gelegene Stadt so erfolgreiche Entwicklung weiter fortgesetzt werden. Durch die Ansiedlung von Veteranen aus den Kriegen gegen Marcus Antonius und Kleopatra wuchs die Stadt weiter. 27 v. Chr. konnte Nemausus schließlich den Status einer Colonia erreichen. Im Jahr 138 n. Chr. bestieg sogar Antonius Pius, ein Enkel eines Senators aus Nemausus, den Kaiserthron. 11 Jahre später wurde Nemausus wahrscheinlich nach dem Brand von Narbo (Narbonne) neue Hauptstadt der Provinz Gallia Narbonensis. 
 Während seiner Blütezeit wurde die Stadt mit einer gewaltigen, sieben Kilometer langen Stadtmauer mit zehn Toren und 80 Türmen befestigt. Mit einer bebauten Fläche von 220 Hektar zählte Nemausus zu den fünf größten Städten des Römischen Reiches. Das Straßensystem wurde nicht, wie sonst üblich, auf einem schachbrettartigen Grundriss errichtet. Es orientierte sich vielmehr an dem bereits vorher bestehenden Straßensystem. © Bild: Alban-Brice Pimpaud - acheo3d.net: Nîmes antique. Vue du forum et de la Maison Carrée
Für all jene, die sich für römische Geschichte interessieren, wird ein Besuch in Nîmes ganz sicher ein besonderes Erlebnis sein. Und zwar nicht nur deshalb, weil sich dort ein zu Beginn des 1. Jhs. n. Chr. errichteter Tempel (Maison Carrée) befindet, der zu den am besten erhaltenen diesbezüglichen Anlagen aus römischer Zeit zählt. Das erst 2018 eröffnete Musée de la Romanité mit seiner Glasfassade, die an eine römische Toga erinnern soll, gleich neben dem ebenso sehenswerten Ampthitheater, das nach dem Vorbild des römischen Kolosseums errichtet wurde, gehören wie auch das teilweise erhaltenes Stadttor (Porte d'Auguste) unbedingt in die Liste der Orte, die man eigentlich gesehen haben sollte.

„Die Einwohner von Nîmes sind halbrömisch, 
denn ihre Stadt liegt ebenfalls auf sieben Hügeln, und die Sonne scheint dort auf schöne Ruinen." 
Jean Reboul

Es gibt aber noch zwei weitere Gründe, warum man es nicht verabsäumen sollte, in diese bezaubernde südfranzösische Stadt zu fahren. Beide haben mit der Wasserversorgung der Stadt zu tun. Ein wesentlicher Grund dafür, dass sich die Römer entschlossen, an dieser Stelle eine Stadt zu errichten, bestand nämlich darin, dass es dort eine ergiebige Quelle gab. Da jedoch das Quellwasser zu unregelmäßig floss, um die Bedürfnisse der prosperierenden Stadt zu befriedigen, entschloss man sich, eine 50 km lange Wasserleitung zu bauen, die Nemausus mit dem Wasser der Eure-Quelle in den Hügeln von Uzès versorgen sollte. (Zu den technischen Meisterleistungen, die dazu erforderlich waren, und zu dem dazugehörigen wichtigsten erhalten gebliebenen Brückenbauwerk der antiken römischen Welt, dem Pont du Gard, lesen Sie bitte hier mehr.) 

Das Wasser, das über die bereits erwähnte überaus aufwendige Art und Weise in die Stadt gelangte, wurde in einem Wasserkastell, das heute noch als Ruine zu besichtigen ist, aufgefangen und weitergeleitet. 
Das Castellum Divisorium umfasst ein kreisförmiges Becken mit einem Durchmesser von fast 6 m, das ursprünglich abgedeckt war. Das über den Kanal hereinströmende Wasser wurde mittels Bleirohren in der ganzen Stadt verteilt.
©Bild: Wikimedia Commons
Zum anderen wurde, wie aus zwei Inschriften aus dem Jahr 25 v. Chr. zu entnehmen ist, noch während der Herrschaft des Augustus das Wasserheiligtum für den einheimischen Gott Nemausus in ein sog. Augusteum umgebaut. 
Ein wichtiges Merkmal des Kaiserkultes waren die Kultstätten, in denen der regierende Monarch bzw. seine Vorgänger verehrt wurden. Für die diesbezüglichen Anlagen, die für Augustus errichtet wurden, sind zwei Bezeichnungen überliefert, nämlich templum oder aedes. Von Anfang an bezeichneten die Begriffe Caesarium und Augusteum(Sebasteion im Osten des Reiches) diese Kultstätten des Augustus. In Nimes wurde dieses Heiligtum , dessen Zentrum ein Altar bildete, rund um den kunstvoll eingefassten Brunnen errichtet.  © Bild: Alban-Brice Pimpaud - acheo3d.net: Augusteum de Nîmes
Das Augusteum in Nimes ist einer der wenigen Beispiele für eine solche Anlage im Gebiet des westlichen Teils des Römischen Reiches. In den monumentalen U-förmigen Gebäudekomplex, der um den Augustus-Altar und die heilige Quelle errichtet wurde, war ein Theater und ein Bauwerk integriert, das man als Bibliothek deutet.
© Bild: Alban-Brice Pimpaud - acheo3d.net: Augusteum de Nîmes
In den „Jardins de la Fontaine“ , die bereits im 18. Jh. angelegt wurden und somit zu den ältesten Einrichtungen dieser Art in Europa zählen, wurden viele architektonische Elemente aus der Römerzeit integriert. Man kann so nicht nur die gigantischen Ausmaße des Augusteums erahnen. Integriert in diese Parklandschaft sind auch der sog. „Diana-Tempel“ und der „Tour Magne“.
Der sog. „Diana-Tempel“ ist ein Gebäude, das zwar Teil des Augusteums war, aber dessen Funktion bis heute ungeklärt ist. Vieles spricht dafür, dass es sich dabei um eine Bibliothek handelte.
Innenraum des Diana-Tempels in Nîmes (imaginäre Ansicht), von Hubert Robert (1771). ©Bild: Wikimedia Commons
So könnte der Eingang in den „Diana-Tempel“ ausgesehen haben.
© Bild: Alban-Brice Pimpaud - acheo3d.net: Reconstitution du Temple de Diane, d’après Naumann
In seinen ältesten Teilen stammt der „Tour Magne“ aus dem 3. vorchristlichen Jahrhundert. Der ursprünglich 36 Meter hohe Trockenmauerturm zählt somit den den ältesten in Europa noch erhaltenen Gebäuden.
Die „Maison Carrée“ wurde zu Beginn des 1. Jhs. n. Chr. (möglicherweise auf Veranlassung von Marcus Vipsianus Agrippa) errichtet. Dieser den Söhnen des Agrippa gewidmeten Tempel gehört zu den am besten erhaltenen Anlagen dieser Art auf dem Gebiet des Römischen Reiches.
Die „Maison Carrée“ ist ein ausgezeichnetes Beispiel für einen klassischen augusteischen Podiumstempel. Der Kultraum erhebt sich auf einem fast 3 Meter hohen Podium. © Bild: Alban-Brice Pimpaud - archeo3d.net: Forum et Maison Carrée
Ein zum Teil noch erhaltenes Stadttor (Porte d'Auguste) markiert die Stelle, an der die Via Domitia in die Stadt mündete. ©Bild: Wikimedia Commons

Das Amphitheater wurde zwischen 90 und 120 n. Chr. erbaut und orientierte sich am römischen Kolosseum. Es war in vier Bereiche unterteilt und bot Platz für 25.000 Zuschauer. Im Inneren befanden sich 34 Sitzreihen. Das ovale Gebäude ist 133 m lang, 101 m breit und 21 m hoch. Die Hauptachse der Arena misst 69 m, die Nebenachse 38 m.

BILDNACHWEIS
  • Nîmes antique. Vue du forum et de la Maison Carrée: © Alban-Brice Pimpaud - acheo3d.net
  • Castellum Divisorium: © Krzysztof Golik Wikimedia Commons
  • Augusteum de Nîmes: © Alban-Brice Pimpaud - acheo3d.net
  • Augusteum de Nîmes: © Alban-Brice Pimpaud - acheo3d.net
  • Innenraum des Diana-Tempels in Nîmes (imaginäre Ansicht), von Hubert Robert (1771).
    © Wikimedia Commons
  • Reconstitution du Temple de Diane, d’après Naumann: © Alban-Brice Pimpaud - acheo3d.net
  • Forum et Maison Carrée: © Alban-Brice Pimpaud - acheo3d.net
  • Porte d'Auguste: © Jan Hazevoet Wikimedia Commons
  • Alle anderen Bilder: © Kavalierstour. 

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BUCHEMPFEHLUNGEN
  • Peter Brannath: Der Aquädukt. Die Geschichte vom Bau des Aquädukts von Ucetia (Uzès) nach Nemausus (Nîmes) und seinem berühmten Teilstück, dem Pont du Gard. Schillinger (2011)
  • Pierre Gros: Gallia Narbonensis: Eine römische Provinz in Südfrankreich. Zabern (2008)
  • Anne Roth-Congès: Glanum. Vom kelto-ligurischen Oppidum zur gallo-römischen Stadt. Éditions du patrimoine (2012)
  • Raymond Chevallier: Römische Provence: die Provinz Gallia Narbonensis. Atlantis (1979)
  • Helga Botermann: Wie aus Galliern Römer wurden. Leben im Römischen Reich. Klett-Cotta (2005)
  • Bert Freyberger: Südgallien im 1. Jahrhundert v. Chr. Phasen, Konsequenzen und Grenzen römischer Eroberung. Steiner (1999)
  • Thorsten Droste: DuMont Kunst Reiseführer Provence: Antike Arenen, romanische Kreuzgänge, Städte mit Geschichte. Eine Reise durch Frankreichs Sonnenprovinz (2011) 
  • Ulrike Klugmann: HB Kunstführer, Nr.36
  • Edwin Mullins: Roman Provence: A History and Guide. Signal Books (2011)
  • James Bromwich: The Roman Remains of Southern France: Routledge (1996)
  • Meike Droste: Arles: Gallula Roma - Das Rom Galliens. Zabern (2003)
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