Die bemalten Gräber von Paestum
In den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts entdeckte man in der Nähe der antiken Stadt Paestum zahlreiche aus Platten gestaltete Kistengräber aus der griechisch-lukanischen Periode ( 4- bis 3. Jh. v. Chr.), die außerordentlich farbenfroh und ideenreich bemalt sind. Die Gräber von Paestum sind von großer Bedeutung, da sie die Interaktion und den kulturellen Austausch zwischen der griechischen, etruskischen und der einheimischen lukanischen Bevölkerung dokumentieren. Die Malereien bieten zudem Einblicke in die religiösen Vorstellungen, den sozialen Status und das tägliche Leben der damaligen Elite. Heute sind viele dieser bemalten Gräber im Museo Archeologico Nazionale di Paestum ausgestellt.
Die Kastengräber waren, wie die dreieckigen Abschlüsse der Platten an den Querseiten bezeugen, meist mit einer dachartigen Abdeckung versehen.
Da die griechischen Malereien, die den Künstlern von Paestum einst als Vorbilder dienten, heute größtenteils verloren gegangen sind, stellen die hier entdeckten Gräber eine regelrechte Sensation dar. Die auf den Innenseiten der Grabplatten gefundenen Fresken, die durch ihre Lebendigkeit und ihre hohe künstlerische Qualität beeindrucken, zeigen deutliche Verbindungen zur Bildwelt der zeitgleich entstandenen etruskischen Kunst sowie zu den überlieferten Bestattungsritualen der Griechen. (Siehe hierzu: Die Monterozzi-Nekropole in Tarquinia).
Am bekanntesten und auch eindrucksvollsten ist das sog. „Grab des Tauchers“ (Tomba del Tuffatore), eine kleine ausgemalte Grabkammer, die in die Zeit um 480 v. Chr. datiert wird. Abgesehen von den Vasenmalereien sind diese Malereien das einzige Beispiel figürlicher griechischer Malerei aus dem 5. Jh. v. Chr. Es handelt sich um ein schlichtes Kammergrab, das aus großen Steinplatten besteht und mit einer flachen Abdeckung verschlossen ist. Die Innenwände sind mit Freskomalereien geschmückt.
An der Ostwand steht ein nackter Jüngling, der einen Krug in der Hand hält, neben dem großen Krater (Mischgefäß), aus dem er Wein schöpfen sollte.
An den Längswänden des Grabes sind lebhafte Szenen eines Symposions zu sehen, bei dem die Gäste mit Blattkränzen im Haar auf Klinen ruhen, Wein trinken und sich amüsieren. Einige Gäste widmen sich dem Geschicklichkeitsspiel Kottabos, während Musiker auf der Lyra und der Doppelflöte spielen. Eine markante Szene an der Nordwand zeigt einen älteren Mann, der einem jüngeren Mann den Kopf umfasst, während dieser ihm entweder die Brust berührt oder ihn abzuwehren versucht. Diese Darstellungen des Symposions stehen symbolisch für das gesellige Leben und den Genuss, der möglicherweise auch auf das Leben nach dem Tod verweist.
An der Westwand verlässt ein Jüngling in Begleitung eines älteren Mannes das Bankett. Vor ihm geht ein Flötenspieler.
Auf der Innenseite der Deckplatte schließlich ist jene Szene zu sehen, die dem Grab seinen Namen gab. Sie zeigt einen nackten Mann, der von einem hohen Turm ins Wasser springt. Diese symbolische Darstellung wird häufig als Metapher für den Übergang vom Leben in den Tod interpretiert, also den Sprung in das Unbekannte oder ins Jenseits. Es gibt aber auch einige Forscher, die diese Szene so interpretieren, dass der Sprung den Eintritt in das Erwachsenenalter symbolisiert. Jedenfalls dürfte, wie der Vergleich mit einem ähnlichen Fresko, das man in Tarquinia (Siehe hierzu: Die Monterozzi-Nekropole in Tarquinia – „Szene des Tauchers“ in der Tomba della Caccia e della Pesca (6. Jh. v. Chr.) fand, belegt, von etruskischen Vorbildern beeinflusst sein.
Die meisten bemalten Gräber von Paestum zeigen Szenen aus dem Alltag, dem Tod und mythologischen Erzählungen. Die vielfältigen Motive umfassen Jagdszenen, Bankette, Kampszenen, Kriegerdarstellungen, Götterabbildungen und religiöse Zeremonien. Die Fresken liefern wertvolle Informationen über die damalige Bewaffnung, Rüstungen, soziale Strukturen und die Verschmelzung griechischer und lukanischer Elemente in Kunst und Kultur.